Der Sturm
Seit Stunden hatte er dort fast bewegungslos gesessen, seinen Rücken an den dicken Stamm der Eiche gelehnt, die sein Urgroßvater gepflanzt hatte. Das Gras bis zum Horizont hatte sich bräunlich gefärbt, die wildwachsenden Kornblumen waren verblichen, die hölzernen Wände des Hauses vor ihm hatten die graue Farbe des Alters angenommen, und die vor langer Zeit in einem einladenden Grün gestrichenen Fensterrahmen waren verwittert und kaum noch von den verstaubten Scheiben zu unterscheiden.
Ab und zu öffnete er seine Augen und beobachtete seine Eltern, die vor dem Haus im Schatten saßen. Sie hatten vor langer Zeit aufgehört, miteinander zu reden. Immer und immer wieder nahm er einen Schluck Limonade aus dem Glas, das er in der linken Hand hielt, während er mit der rechten Kreise in den Staub malte. Die Limonade war längst warm geworden, er hatte beobachtet, wie die Eiswürfel, die er vorsorglich in das Glas gefüllt hatte, geschmolzen waren.
Es war heiß. Diese Hitze war ungewöhnlich für die Jahreszeit. Er konnte sich nicht an ein Jahr erinnern, in dem es so früh so heiß gewesen war. Er wollte seine Eltern nicht danach fragen. Zu oft war ihm gesagt worden, er möge ruhig sein. Deshalb wollte er die Stille nicht unterbrechen.
Er wusste, dass ein Sturm heraufzog. Er fühlte die Bedrohung mehr als dass er sie kannte. Er hatte noch nie einen Sturm erlebt, wusste aber, dass seine Eltern ihn erlebt hatten. Das war passiert, bevor seine Schwester vor zehn Jahren gestorben war. Sie war erst vier Jahre alt gewesen, drei Jahre jünger als er.
Die brennende Sonne, der Staub und die Luftspiegelungen hinderten ihn daran, die verwelkten Rosensträucher und die Buche zu sehen, die er für sie auf einem etwas entfernt liegenden Hügel gepflanzt hatte. In der Vergangenheit hatte er immer die ersten Wiesenblumen gepflückt und dort hingelegt, oder aus dem trockenen Flussbett rundgewaschene Steine gesammelt, die er in Kreisen um die Blumen ausgelegt hatte. Die Buche hatte ihm immer den Weg gewiesen und würde es wieder tun, sollte er eines Tages zurückkehren.
Endlich spürte er die erste leichte Brise. Am Horizont konnte er die Wolken erkennen. Sie kamen näher, dicke, schwarze, gewalttätige Wattebäusche, die langsam aber stetig wuchsen, sich aufblähten und unaufhaltsam vermehrten, um alles zu überrollen.
Er nahm sein Glas, ging zurück ins Haus und schloss Fenster und Türen. Seine Eltern waren schon vor ihm ins Haus gegangen. Plötzlich wusste er, dass er sie am nächsten Tag verlassen würde.
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